Dank KI-gestützter Analyse: Neue Angriffsziele gegen die akute myeloische Leukämie (AML)
14.03.2023
Manche Formen von Blutkrebs lassen sich mit gentechnisch speziell angepassten Immunzellen behandeln. Jetzt fanden Münchner Forscher Ansatzpunkte dafür auch gegen AML.
Die AML – eine von mehreren Formen der Leukämie („Blutkrebs“) – ist eine tückische Erkrankung. Fünf Jahre nach der Erstdiagnose lebt nur noch ein Drittel der Erkrankten. Bis zu 85 Prozent der Patientinnen und Patienten erscheinen nach einer intensiven Chemotherapie zwar wie geheilt. Allerdings kehrt bei mehr als der Hälfte von ihnen binnen ein bis zwei Jahren die Krankheit zurück, weil die Chemotherapie nicht alle Leukämie-Zellen zerstört hat.
Bei einem Rückfall ist eine Stammzelltransplantation die letzte Chance für die Kranken. Aber selbst dann liegt die langfristige Überlebenswahrscheinlichkeit bei unter 20 Prozent. Innovative Behandlungsmöglichkeiten sind mithin dringend nötig.
Anders als andere Formen von Blutkrebs ist die akute myeloische Leukämie (AML) derzeit nicht mit der innovativen sogenannten CAR-T-Zell-Immuntherapie behandelbar. Der Grund: Es fehlen die spezifischen molekularen Ansatzpunkte, mit denen bestimmte Immunzellen gezielt AML-Zellen angreifen könnten – damit das Immunsystem den Krebs auch wirklich attackiert. Genau solche Ansatzpunkte haben die beiden Forscherteams von Professor Sebastian Kobold mit Dr. Adrian Gottschlich von der Abteilung für Klinische Pharmakologie des LMU Klinikums und Dr. Carsten Marr mit Moritz Thomas aus dem Institute of AI for Health von Helmholtz Munich entdeckt. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology veröffentlicht.
Die CAR-T-Zelltherapie ist eine innovative Therapie. CAR-T steht für „chimärer Antigenrezeptor in T-Zellen“. T-Zellen sind Zellen des Immunsystems. Ihren „normalen“ Angriffsversuchen entziehen sich die Krebszellen durch diverse molekulare Tricks. So erkennen T-Zellen ihre Gegner, die Krebszellen, gar nicht mehr. Im Zuge einer CAR-T-Zelltherapie werden den Patientinnen und Patienten zunächst T-Zellen entnommen, die gentechnisch dann so bearbeitet werden, dass sie ein bestimmtes Eiweiß (CD19) auf ihrer Oberfläche produzieren. Wenn die CAR-T-Zellen in den Körper der Patienten gespritzt werden, sorgt CD19 dafür, dass die CAR-T-Zellen die Krebszellen des Patienten erkennen und zielgenau daran binden. Die Krebszellen sterben daraufhin ab.
Kandidaten-Moleküle: 2 aus 25.000
Die zugelassenen CAR-T-Zellen gegen CD19 eignen sich für die AML jedoch nicht, denn CD19 ist auf der Oberfläche der AML-Zellen (in der Regel) nicht vorhanden. Auch die klinischen Ergebnisse mit CAR-T-Zellen, die sich gegen andere Oberflächenmoleküle von AML-Zellen gerichtet haben, waren nach Angaben der Wissenschaftler bisher ernüchternd. Denn die CAR-T-Zellen waren nicht in der Lage, zwischen gesunden und den entarteten Zellen zu unterscheiden – mit entsprechend großen Nebenwirkungen.
Also haben sich der Mediziner Sebastian Kobold und der Physiker Carsten Marr zusammen mit Kolleginnen und Kollegen des LMU Klinikums und des Institute of AI for Health von Helmholtz Munich auf die Suche nach alternativen Molekülen gemacht, die idealerweise ausschließlich auf der Oberfläche von AML-Zellen zu finden sind. Mithilfe umfangreicher bioinformatischer Analysen und der Integration von Expressionsdaten von mehr als einer halben Million einzelner Zellen kristallisierten sich aus 25.000 potenziellen Zelloberflächenmolekülen schließlich zwei Kandidaten heraus. Sie werden im Fachjargon CSF1R und CD86 genannt. „Eine solche Analyse wäre vor wenigen Jahren noch nicht möglich gewesen, da die entsprechenden Einzelzelldaten erst seit Kurzem existieren“, sagt Marr, der die KI-gestützte Klassifizierungs-Analyse im Rahmen der Studie bei Helmholtz Munich leitete.
Anschließend stellten die Forschenden im Labor des LMU Klinikums CAR-T-Zellen her, die sich gegen genau diese Moleküle richten. Die Zellen wurden dann an unterschiedlichen AML-Modellen getestet, unter anderem auch mit AML-Zellen aus Patientinnen und Patienten. Ergebnis, so Kobold: „Diese CAR-T-Zellen sind einerseits wirksam gegen die AML, andererseits bekämpfen sie kaum gesunde Zellen.“
Die Studie zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie die Synergie interdisziplinärer Forschungsgruppen zu Durchbrüchen in der Gesundheitsforschung führen kann, um Patientinnen und Patienten bestmöglich zu behandeln. Das nächste Ziel der Forschenden: Sie wollen Verfahren zur GMP (Good manufacturing practice)-fähigen Herstellung dieser CAR-T-Zellen entwickeln, die dann auch in klinischen Studien verwendet werden dürfen. Das soll im Rahmen des „Bayerischen Zelltherapie-Katalysators“ passieren, der von der Bayerischen Forschungsstiftung unterstützt wird. Die ersten Tests mit den Patientinnen und Patienten erwartet Kobold in zwei bis drei Jahren.